Olympia-Bilanz - Die wahren Sieger kennt noch keiner

    • Offizieller Beitrag

    Von Christof Siemes

    17 Tage voller Zauber, Weltrekorde, Kritik und Zensur sind vorbei. Was bleibt denn nun von den Spielen in Peking? Ein Kommentar.

    Nun sind die olympischen Wochen wieder vorbei, ein kurzer Rausch nach sieben Jahren Vorbereitung.

    Als Sportveranstaltung haben diese Spiele perfekt funktioniert. Die Organisation verlief reibungslos. Die Wettkämpfe waren offiziell ausverkauft, die Zuschauer keine zwangsverpflichteten Jubelchinesen, sie verhielten sich überwiegend sachkundig und fair. Die sportlichen Leistungen waren herausragend, allein in den Schwimmwettbewerben gab es 24 Weltrekorde.

    Spätestens hier zeigt sich, dass der Lack, der das Produkt Olympia so schön glänzen lässt, noch nie so dünn war wie diesmal. Alle Höchstleistungen, inklusive der acht Goldmedaillen des US-Schwimmers Michael Phelps, sehen Publikum und Berichterstatter mit Unbehagen. Offiziell gab es bei diesen Spielen nur eine Handvoll Dopingfälle. Aber wer weiß, wie die Bilanz in ein paar Jahren aussehen wird. Die Ahnung, dass, wie nach vergangenen Olympischen Spielen, Gewinner nachträglich überführt werden könnten, mindert die Freude an den Siegen.

    Und auch auf der symbolischen Ebene waren dies die Spiele des großen Aber. Von der gigantischen Eröffnungsfeier bis hin zum Lächeln des kleinsten Freiwilligen haben sich die Veranstalter bemüht, China als modernes, aufstrebendes, als friedliches und harmoniesüchtiges Land zu zeigen. Aber im selben Moment hat es Demonstrationen verhindert, Protestierer verhaftet und abgeschoben.

    Der zentrale Begriff in der politischen Diskussion wird zudem völlig gegensätzlich interpretiert: Öffnung. Die Organisatoren verstehen darunter, dass sich das Land endlich in seiner Vielfalt präsentieren kann und sich die Gelegenheit bietet, Vorurteile abzubauen und Klischees zu entkräften. Für Chinas Kritiker bedeutet Öffnung: Veränderung. Als Lohn für die Chance zur Selbstdarstellung möge das Land ein Rechtsstaat nach westlichem Muster werden. Diese Hoffnungen haben getrogen – weil die Wirklichkeit komplizierter ist: China ist noch keine Demokratie, aber auch kein totalitärer Staat mehr.

    Wie also fällt die politische Gesamtbilanz aus? »Zu 51 Prozent gut«, sagt der regimekritische Rockstar Cui Jian. Was im Westen gern verkannt wird: Auch die größten einheimischen Kritiker sind stolze Chinesen. Der Zugang zu Informationen mag während der Spiele nicht völlig frei gewesen sein – für die Chinesen war er so frei wie nie zuvor. Deshalb wird die wahre Bilanz dieser Spiele vielleicht erst in Jahren geschrieben werden können.

    Wird es den regierenden Kommunisten überhaupt noch einmal gelingen, den Deckel wieder auf den Topf zu bekommen, den sie für Olympia gelüftet haben? In den angespannten Gesichtern der Staats- und Parteiführung während der Eröffnungsfeier stand auch die Furcht, dass sie die freien Geister, die sie nach Peking riefen, nicht mehr loswerden.

    Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter http://www.zeit.de/audio


    [Quelle: ZEIT Online ]


    Gruß
    data :97:

    "Beim Tanken einfach nach dem Benzin vom Vortag fragen
    - klappt ja auch beim Brot"
    (Anonymus)

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